Konsistenztheorie nach Klaus Grawe


Wie entstehen psychische Störungen? Wie werden sie behandelt?

Ich arbeite nach dem psychologischen Grundverständnis der Konstistenztheorie nach Klaus Grawe wonach wir Menschen eine Übereinstimmung zwischen unseren inneren Bedürfnissen (psychische Prozesse) und dem Erleben in der Realität (neuronale Prozesse) anstreben. Diese Passung bezeichnet Klaus Grawe als Konsistenz. Je höher die Konsistenz ist, desto gesünder ist der Organismus.

Wir Menschen müssen bestimmte Bedürfnisse befriedigen, um zu überleben und uns wohl zu fühlen. Einige dieser Bedürfnisse sind körperliche Bedürfnisse wie Ernährung oder Schlaf. Wir haben aber auch psychische Grundbedürfnisse, die wir befriedigen müssen, um ein zufriedenes und psychisch gesundes Leben zu führen.

Die wichtigsten psychischen Grundbedürfnisse sind:

  • das Bedürfnis nach nahen Bindungen

  • das Bedürfnis, Kontrolle und Überblick zu haben

  • das Bedürfnis, ein gutes Selbstwertgefühl zu haben

  • das Bedürfnis, Freude zu erleben und zu geniessen

Im Zusammenspiel mit der Umwelt bilden sich motivationale Schemata mit dem Ziel der Befriedigung dieser Bedürfnisse heraus. Motivationale Schemata sind die Mittel, die eine Person im Laufe ihres Lebens entwickelt, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen und sich vor Verletzungen zu schützen. Dabei gibt es Annäherungsschemata und Vermeidungsschemata. Annäherungsschemata dienen der Erfüllung der Grundbedürfnisse und Vermeidungsschemata dienen der Verhinderung von Verletzungen, Bedrohungen oder Enttäuschungen der Grundbedürfnisse.

Wenn aktivierte motivationale Ziele nicht erreicht werden können, kommt es zu Inkongruenz. Diese Inkongruenz kann man sich wie einen Frust oder eine Spannung in der Psyche vorstellen. Bis zu einem gewissen Mass erleben wir dies tagtäglich, doch wenn persönlich wichtige Ziele über längere Zeit nicht befriedigt werden können und/oder gleichzeitig mehrere Ziele keine Umsetzung im realen Leben finden, werden wir alle irgendwann psychisch krank. Eine weitere Erklärung für die Entstehung psychischer Störungen sind motivationale Konflikte. Diese entstehen wenn annähernde und vermeidende Tendenzen gleichzeitig aktiviert werden und sich dadurch gegenseitig blockieren. Oder anders gesagt, wenn zwei motivationale Ziele nicht miteinander vereinbar sind und dadurch keines erreicht werden kann.

Grund dafür, dass man seine psychischen Bedürfnisse nicht befriedigen kann, können z.B. ungünstige Lebensumstände, schlimme Erlebnisse, körperliche Probleme, Konflikte in nahen Beziehungen, Probleme bei der Arbeit usw. sein.

 

Wenn das individuelle, kritische Mass erreicht ist, reagiert die Psyche mit einer Störung und produziert Symptome. Wo diese Schwelle liegt und welche psychische Störung man entwickelt hängt von den individuellen Voraussetzungen (Gene, Lebensgeschichte, Prägung, Ressourcen usw.) ab. Symptome werden in der Regel von der betroffenen Person und/oder ihrer Umwelt als sehr störend oder auch beängstigend erlebt. Die psychische Störung mit ihren dazugehörigen Symptomen ist aus Sicht der Psyche aber der aktuell bestmöglichste Lösungsversuch, um doch noch einige Bedürfnisse befriedigen und weitere Verletzungen der psychischen Grundbedürfnisse verhindern zu können.

 

Aus diesem Grundverständnis leitet sich das Behandlungskonzept ab, wonach die Psychotherapie bzw. das Coaching individuell auf die Person zugeschnitten sein muss, um festgefahrene motivationale Konflikte zu lösen und neue, erfolgreiche Schemata (Zielerreichungsstrategien) zu erarbeiten und einzuüben. Schemata, die früher einmal hilfreich waren, können heute nicht mehr passend sein, aber dafür stehen heute vielleicht andere Wege zur Verfügung, die es früher noch nicht gab und man bis jetzt noch nicht wahrgenommen hat. Dieser Prozess der Klärung und Neuausrichtung greift wo immer möglich auf bereits bestehende Ressourcen einer Person zurück. Oft trägt die Person die notwendigen Fertigkeiten bereits in sich und es geht lediglich darum, diese auf andere Situationen übertragen zu können. Wo notwendige Ressourcen fehlen, werden diese neu aufgebaut und trainiert. Dieser Veränderungsprozess zeichnet sich auch auf neuronaler Ebene im Gehirn ab, weswegen die Therapie nach der Konsistenztheorie auch als Neuropsychotherapie bezeichnet wird.